Samstag, 31. August 2013

Burn: Mein neuer Unort

Für manche Menschen ist es die Höchststrafe, am Samstag um 18 Uhr in der Migros oben im Bahnhof einzukaufen. Dann, wenn halb Bern plötzlich einfällt: Huch! Wir haben ja noch nichts eingekauft! Was machen wir am Sonntag nur! Wir werden verhungern!

Mir machen die Menschenmassen dort nichts aus. Entspannt schlängle ich mich durch die Regale, überhole streitende Paare, tobende Kinder, bekiffte Teenager, hole mein Farmer- Pecannuss-Müesli und steuere stracks an die Selbstbedienungskasse. No Problemo. Der Laden ist eng, aber freundlich. 

Ganz anders der Coop im Bahnhof. Das ist für mich der neue Berner Unort. Dabei bin ich ein Coop-Kind, ich mag Marken, Wein, spezielles Gemüse, da ist man bei Coop besser bedient. Doch die niedrige Decke, das kalte Licht, das Kassenanweiser-Sicherheitspersonal, das Sortiment (ich zählte gut zwei Dutzend Gemüsesorten, aber mehr als 100 Alkoholarten, noch ohne Wein!): ein trauriger Laden. Vermutlich perfekt für das Bahnhofvorplatzpersonal. Ich hingegen werde am Bahnhof zum Migros-Kind. 

Sarah Pfäffli

Samstag, 24. August 2013

Bienne: Hunde aller Art

In Biel war Montagnachmittag, und am Montagnachmittag haben Bewohner und Besucher unserer Stadt jeweils die Chance, einem Schauspiel beizuwohnen: Suchtmittel konsumierende Frauen und Männer aus der Region bekommen laut Behörde die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten einzusetzen, Ressourcen zu aktivieren und einen legalen Verdienst zu erzielen. Man könnte auch sagen: Junkies putzen für 8 Franken Stundenlohn die Strassen. Das ist auf jeden Fall ein sinnvolles und lobenswertes Projekt, vor allem aber ist es unterhaltsam. Am letzten Montagnachmittag etwa waren drei arme Tröpfe unterwegs; nennen wir sie Fredy, Fridu, Fränzu. Sie schoben in über die zerfetzten Kleider gewürgten orangen Gwändli Besen, Schaufel und Abfallsackwägeli vor sich hin, ein Hund trottete mit. 

Nach einiger Zeit stillen Wischens fragte Fredy: «Sag mal, Fridu, beisst dein Hund?» Fridu antwortete: «Sicher nicht!» Fredy ging auf den Hund zu, wollte ihn streicheln. Der Hund aber schnappte zu, voll in Fredys Finger. Fredy schrie auf und schimpfte: «He, Fridu, du hast gesagt, dein Hund beisse nicht!» Fridu sah Fredy lange an, dann sagte er: «Hab ich gesagt, das sei mein Hund? Der gehört Fränzu!» 

Fabian Sommer

Samstag, 17. August 2013

Burn: I like Young Boys

Olé, olé! Bern ist euphorisch, und Schönwetterfans wie ich kriechen aus ihren Löchern. YB hat bisher alle Spiele der Saison gewonnen! Ausserdem, und das ist natürlich noch viel wichtiger, ist der Trainer der Young Boys die Sexbombe der Liga! «Schweizer Frauen wollen mit Uli Forte ins Bett!» So stand es im «Blick», und dann muss es stimmen. Ich kenne zwar keine dieser Frauen, mais bon. Einige Tage zuvor hatte die Zeitung Forte bereits angeboten, ihm eine Freundin zu suchen. Er lehnte dankend ab. Dieser Mann ist quasi mit dem Fussball verheiratet. 

Klar, sind auch die Männer beeindruckt. Es gibt jetzt T-Shirts mit dem Aufdruck «Fear the Beard», die Uli Fortes vorzüglichen Bartwuchs thematisieren. Die YB-Verantwortlichen versuchen unterdessen mit ihren abgegriffensten Floskeln, die Erwartungen zu dämpfen. Wir müssen jetzt auf dem Boden bleiben! Einfach von Spiel zu Spiel schauen! Die Saison ist noch lang! 

Dabei wäre die rhetorische Prävention gar nicht nötig. Die Berner werden schon nicht abheben, sie sind Rückschläge gewohnt. Als YB-Fan muss man quasi permanent untendurch. Wie der Bekannte, der in die USA reiste und am Zoll in typisch amerikanischem Small Talk nach seinem Lieblingssportteam gefragt wurde. 

«I like Young Boys», sagte er etwas unbeholfen. 

Der Zollbeamte war plötzlich nicht mehr so freundlich. 

Sarah Pfäffli

Samstag, 10. August 2013

Bienne: An der Tanke

In Biel war Glutofenhitze. Mir gefiel das ausgesprochen gut. Es gibt ja wenig auf der Welt, das derart nervt wie jene Leute, die im Sommer über die ach so heisse Sonne jammern und über Weihnachten dann auf die Malediven fliegen, weil es bei uns ach so kalt ist. Zut alors, ihr Jammerer, freut euch doch einfach mal über diese schön schweisstreibenden Sommertage! 

Ich habe einen alten Bekannten, der ist auch so ein Gränni. Temperaturen über 22 Grad lösen bei ihm Brechreiz aus, zwischen Mai und September bleibt er zu Hause und lässt die Storen unten.
Absurderweise aber war es just jener Bekannte, der mich mit einer Idee zur Gestaltung eines freien Donnerstagabends Anfang August überzeugte, ja begeisterte: Wir fuhren nach La Chaux-de-Fonds, um uns das erste Freundschaftsspiel des EHC Biel vor Ort anzuschauen. Es gebe nichts Angenehmeres, als im August in Flip-Flops und kurzen Hosen in einem Eisstadion zu sitzen und sich eine echte Wintersportart zu Gemüte zu führen, meinte der alte Bekannte schon vor der lauschigen Fahrt durch den Neuenburger Jura. Er sollte recht behalten, auch wenn es über das Spiel wenig bis nichts Erwähnenswertes zu berichten gibt. 

Allein die Reise nach La Chaux-de-Fonds aber rechtfertigte den Plan vollends: Auf halbem Weg meldete das Auto des Bekannten, dass es Benzin brauche. Diesem Wunsch kamen wir an der nächsten Tankstelle nach. Als wir danach im Shop bezahlten, bestellte der Bekannte bei der Verkäuferin eine Schachtel Zigaretten.
Die junge Frau schaute ihn lange an, dann fragte sie: «Sind Sie denn schon 18 Jahre alt?» Der alte Bekannte, übrigens kürzlich 34 geworden, überlegte kurz. Dann sagte er: «Nein, wie kommen Sie darauf? Ich habe soeben mein Fahrrad für 93.75 Franken vollgetankt.» 

Fabian Sommer

Samstag, 3. August 2013

Burn: Das Eine

In Bern geht es im Ausgang eigentlich immer nur um das Eine. Das merkt man besonders im Sommer. An jedem Gratisquartierfest. Zum Beispiel am Jurastrasse- oder am Velokurierfest in der Lorraine, in der es sich ausgiebig feiern lässt, ohne dass eine Frau Müller die Polizei anruft. Da machen es eigentlich alle, stundenlang, wir Berner lieben es. Oder in der Länggasse, wo in den letzten Jahren so viele neue Lokale aufgetaucht sind, dass das Quartier richtig hauptstädtisch geworden ist. Meistens tun es die Leute gleich vor den Beizen. Auf offener Strasse. 

Viel brauchen die Berner dazu nicht. Nicht einmal Musik. Die ist ohnehin Nebensache, selbst wenn sich auf einer Bühne eine Band redlich bemüht. Wichtiger als jeglicher künstlerischer Wert ist in Bern, dass ein Anlass gratis ist. Aber selbst am Gurtenfestival, das stolze Ticketpreise verlangt, musikalisch kaum mehr relevant ist und dann doch immer neue Besucherrekorde vermeldet, wollen alle eigentlich bloss etwas. Das gilt sogar für die Leute auf dem Reitschule-Vorplatz, zumindest für die friedlichen 90 Prozent. 

Im Ausgang geht es den Bernern nur um das Eine. Chly umestah. Und dabei chly schnurre. U chly suufe. 

Sarah Pfäffli

Samstag, 27. Juli 2013

Bienne: Familien-Sommer

In Biel war genau 10.30 Uhr. Normalerweise tummeln sich um diese Zeit in den grossen Einkaufszentren der Stadt ja vor allem zum Nichtstun Gezwungene aller Art: Rentner, Arbeitslose, Asylbewerber.
Während der grossen Ferien im Juli und August ist das anders, wie ich beim Besorgen von Grillgut für den Abend feststellen konnte: Daheim gebliebene Familien nutzen die Extrazeit, um gemeinsam einzukaufen. Wahrscheinlich, damit sie spätestens um 13 Uhr im Strampi sind. So übrigens nennen wir, liebe Nicht-Bieler, unser schönes Strandbad. 

Ich legte also die Kohle ins Körbchen und die Würste und das Bier. Und malte mir schon aus, wie es einmal sein wird, wenn ich Kinder habe und Sommerferien. 

Beim Regal mit dem Spielzeug durfte ich dann den intensiven Verhandlungen eines Vaters mit seinem etwa 5-jährigen Sohn beiwohnen. Der Sohn flehte: «Darf ich das haben, bittebittebitte?» «Nein», sagte der Vater. Der Sohn schlug vor, dass er die Hälfte des Kaufpreises von seinem Sackgeld beisteuern könnte. «Ich zahle aber die andere Hälfte nicht», sagte der Vater triumphierend. Der Sohn überlegte einen Moment. Dann meinte er: «Dann mache ich es kaputt, und du musst es bezahlen.» 

Fabian Sommer

Samstag, 20. Juli 2013

Burn: Z Bärg

Die Bernerinnen und Berner nehmen ihre Hüte aus den Schränken, blasen den Staub weg, schmieren sich mit Sonnencreme ein, vergessen einen Hautflecken auf der Schulter, der dann später rot leuchten wird. Sie drapieren ihre Kleider rund um ihre Tattoos, sodass die Schriftzüge auf den Unterarmen sowie die Sterne, Blumen, Schmetterlinge im Nacken zur Geltung kommen. Sie ziehen Dreiviertelhosen an, schlüpfen in die Flipflops, riechen noch einmal an den Achselhöhlen, legen etwas Deo nach. Sie schminken sich dezent, decken die Augenringe ab. Sie zöpfeln ihre Haare oder verwuscheln sie mit diesem teuren Wachs vom Coiffeur. Sie packen Geld und Smartphone und Stimorol und Billett in die Seitentaschen der Cargo-Hosen oder in die kleine braune Umhängetasche. Dann packen sie das Smartphone wieder aus und hängen es noch einmal ans Ladekabel, 89 Prozent reichen nicht einmal, bis es dunkel ist, bei all diesen Bühnenfotos aus der Ferne und den vielen komplizierten Whatsapp-Nachrichten «Wo bisch?» – «Links ar länge Bar!» – «Vo unde us gseh oder vo obe?» Sie binden sich eine Regenjacke um die Hüfte, zur Sicherheit. Sie nehmen die Schlüssel fürs Büro vom Schlüsselbund und legen sie auf die Ablage im Gang. Dort liegen sie bis Montag. 

Die Bernerinnen und Berner sind am Gurtenfestival. 

Sarah Pfäffli